Wegweisende Gerichtsentscheidungen zu Persönlicher Assistenz und Persönlichem Budget
Sozialgericht Marburg: Beschluss stärkt das „Persönliche Budget“
Für Studierende, die ihren Assistenzbedarf im Arbeitgeber*innen-Modell selbstständig organisieren, ergeben sich immer wieder Schwierigkeiten bei der Umsetzung, die insbesondere mit den geringen Vergütungssätzen der Assistenzen und der Komplexität des Verwaltungsprozesses zusammenhängen. Eine Gerichtsentscheidung des Sozialgerichts Marburg zur Ausgestaltung eines Persönlichen Budgets vom 8. September 2023 (Az. S 9 SO 27/23 ER) könnte dazu beitragen, die Position von Menschen mit selbstorganisierter Assistenz zu stärken. Im verhandelten Fall wurde der zuständige Leistungsträger aufgefordert, den Vergütungssatz für die selbstorganisierte Assistenz deutlich anzuheben und den Anspruch auf eine qualifizierte Budgetbegleitung in individuell erforderlichem Umfang abzudecken, im aktuellen Fall fünf Stunden/Woche. Vertreter*innen der Behindertenselbsthilfe würdigen den Beschluss als differenzierte Auseinandersetzung mit den Selbstbestimmungsrechten behinderter Menschen und die sich daran anknüpfenden Erfordernisse an die Ausgestaltung des Persönlichen Budgets. Der Beschluss ist rechtskräftig.
- Beschluss des Sozialgerichts Marburg
- Interview von Ottmar Miles-Paul (Kobinet-Nachrichten) mit Vertretern von Netzwerk Artikel 3
Bundessozialgericht: Anspruch auf Übernahme von Reisekosten für notwendige Assistenzen auf Urlaubsreisen im Rahmen der Eingliederungshilfe
Studierende mit beeinträchtigungsbezogenem Assistenzbedarf berichten regelmäßig von Schwierigkeiten, an studienbezogenen Exkursionen teilzunehmen, weil die dadurch entstehenden Zusatzaufwendungen für ihre Assistenzen nicht gedeckt werden. Eine Gerichtsentscheidung des Bundessozialgerichts – wenn auch thematisch anders gelagert – könnte die Argumentation gegenüber dem Leistungsträger unterstützen. Das Gericht entschied am 19.5.2022 (Az. B 8 SO 13/20 R), dass Leistungen der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auch die notwendigen behinderungsbedingten Mehrkosten für eine angemessene Urlaubsreise umfasse. Im vorliegenden Fall ging es um die Kostenübernahme der Reise- und Hotelkosten der behinderungsbedingt erforderlichen Assistenzkraft eines schwerbehinderten Klägers. Anders als die Vorinstanzen sah das BSG einen berechtigten Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme durch den Eingliederungshilfeträger, auch weil Urlaub als Freizeitgestaltung ein soziales Teilhabebedürfnis darstelle und der Urlaub in der beantragten Form nicht vom Üblichen abweiche. Das Gericht führte aus: „Sehen sich behinderte Menschen dagegen mit besonderen Kosten zur Durchführung der Freizeitgestaltung gerade aufgrund ihrer Behinderung konfrontiert, sind erforderliche behinderungsbedingte Mehraufwendungen vom Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen umfasst. Sie bestimmen sich nach der Differenz der Kosten der selbstgewählten Freizeitgestaltung des behinderten Menschen zu den Kosten eines nichtbehinderten Menschen bei dieser Freizeitaktivität.“
- BSG-Urteil vom 19.5.2022 (Az. B 8 SO 13/20 R)
- Kommentar Roland Rosenow