UN verpflichtet: Flucht und Behinderung als Querschnittsthema verankern!
Die politische Debatte um die Asyl- und Migrationspolitik, aber auch der öffentliche Diskurs über geflüchtete Menschen spitzt sich aktuell auf europäischer und nationaler Ebene derart zu, dass rechtsstaatliche Prinzipien und lang bewährte menschenrechtliche Mindeststandards in Gefahr sind. Zudem schüren offene populistische Anfeindungen und die Verbreitung von Falschinformationen von Spitzenpolitikern Ängste und Unmut – all dies trägt zu einer verheerenden Entmenschlichung und Entrechtung von Schutzsuchenden bei. Unsichtbar und vergessen inmitten dieser alarmierenden Entwicklungen bleiben geflüchtete Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen Erkrankungen und psychischen Beeinträchtigungen, sowie deren Angehörige. Sie sind von besonders schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen betroffen:
Geflüchtete – insbesondere asylsuchende und geduldete – Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren mit Behinderungen sind einer eklatanten Unterversorgung ausgesetzt. Dies betrifft neben der prekären und häufig jahrelangen Unterbringung in nicht barrierefreien Sammelunterkünften, den erschwerten Zugang zu Hilfs- und Heilmitteln wie etwa Rollstühlen und Psychotherapie, sowie Pflegeleistungen und Assistenzleistungen. Aber auch im Asylverfahren, bei der Erlangung von Aufenthaltserlaubnissen und Abschiebeverboten werden behinderte Menschen strukturell benachteiligt.
Das Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (BZSL e.V.) stellt im Rahmen seiner spezialisierten Beratungstätigkeit von geflüchteten Menschen mit Behinderungen wiederholt fest, dass dies zu lebensbedrohlichen Situationen führt bzw. diese begünstigt. Kürzlich musste das BZSL e.V. von einem weiteren Todesfall erfahren – der 3. innerhalb eines Jahres – der bei einer bedarfsgerechten Versorgung und Unterbringung zu diesem Zeitpunkt und auf diese Art und Weise hätte verhindert werden können. Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer in Berlin und deutschlandweit weitaus höher ist.
Vor diesem Hintergrund ist es jetzt besonders wichtig, ein klares Signal für die Verpflichtung zur Einhaltung von Menschenrechtsnormen und humanitären Mindeststandards zu setzen. Der Fachausschuss des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) hat dies nun getan und die Richtung für Deutschland klar vorgegeben: Behinderung und Flucht sind als Querschnitts- und Menschenrechtsthema zu verankern!
Am 30. und 31. August 2023 fand in Genf die 2. Staatenprüfung zur UN-Behindertenrechtskonvention statt, in der sich die deutsche Delegation aus BMAS und weiteren Ministerien und Vertreter*innen auf Bund- und Länderebene den kritischen inklusionspolitischen Fragen des UN-BRK Fachausschusses stellen musste. Sowohl der konstruktive Dialog als auch die anschließend veröffentlichtenAbschließenden Bemerkungen mit Kritik und Empfehlungen des Ausschusses greifen die strukturelle Diskriminierung von geflüchteten Menschen mit Behinderungen eingehend auf:
Der Ausschuss mahnt vor allem die verschärfte Situation von geflüchteten Frauen und Kindern mit Behinderungen an und listet Empfehlungen auf, um einen gleichberechtigten Zugang zur
Gesundheitsversorgung, zu Teilhabeleistungen, Bildung, Kultur- und Freizeitaktivitäten sowie den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu gewährleisten. Ebenso wird Deutschland dazu aufgefordert, endlich seinen Verpflichtungen der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) gerecht zu werden und ein bundesweit einheitliches Identifizierungsverfahren zu schaffen sowie geflüchtete Menschen mit Behinderungen in der Statistik- und Datensammlung zu berücksichtigen. Dabei ist die enge Konsultation und aktive Einbeziehung von Selbstvertretungsorganisationen an dieser Schnittstelle geboten.
Deutschland nehme europaweit eine bedeutende Rolle ein, sowohl in der Asyl- als auch Inklusionspolitik: „What Germany does matters, not only for Germany but for all of Europe”, betont der Ausschuss im konstruktiven Dialog. Damit Deutschland als Vertragsstaat seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen im Lichte seiner internationalen Stellung nachkommen kann, setzt sich das BZSL e.V. für die Erarbeitung eines konkreten Maßnahmenkatalogs inkl. Monitoring ein. Wir fordern eine verbindliche ressortübergreifende Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern – an der NGOs an der Schnittstelle von Behinderung, Migration und Flucht gebührend beteiligt werden.
Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an: gina.schmitz@bzsl.de